Mutter sein – warum das auch schwer sein kann

Katharina Jund

Katharina Jund

Lehrerin und Mutter

Unser erstes Kind kommt auf die Welt. Glück pur. Ein paar Tage ist alles gut. Alles ist so, wie es immer sein sollte. Und dann fängt sie an zu weinen, zu schreien. Und sie wird die nächsten Monate nicht mehr damit aufhören. Ich trage und wiege sie also, bis sie schläft. Ablegen? Keine Chance, sie würde wieder aufwachen, weinen, schreien und alles würde von vorne losgehen. Also? Auf dem Arm schlafen lassen. Dann ist sie glücklich. Dann ist sie zufrieden. Dann schläft sie – auch mal ein paar Stunden am Stück. Ich setze mich also ganz ruhig und langsam hin, nur ja nicht aufwecken. Geschafft. Wo ist jetzt die Fernbedienung, das Buch, das Handy … ? Weit weg. Zu weit weg. Wieder aufstehen? Auf keinen Fall! Sonst ginge das Tragen und Einschläfern von vorne los. Jetzt sitze ich also hier und betrachte mein Baby. Schon wieder. Stundenlang. Anfangs war es ja schön. Langsam nervt es. Es ist langweilig. Ich schaue also im Zimmer umher. Staub, schmutzige Kleidung, schmutziges Geschirr, überall irgendein anderer Berg, der darauf wartet, weggeräumt zu werden. Sie wacht auf, trinkt was und ist glücklich – solange sie auf meinem Arm ist und ich mich ausschließlich mit ihr beschäftige. Ich muss aber aufs Klo. Dringend. Eigentlich seit Stunden. Und duschen, Zähneputzen, kochen, essen, Wäsche waschen, aufräumen – es gäbe ja so viel zu tun. Na gut. Ich lege sie ab, verschließe meine Ohren, um ihr sofort einsetzendes Brüllen nicht zu hören und sause aufs Klo. Ich entscheide mich gegen Kochen und die ganzen anderen Aufgaben und nehme mein Baby wieder hoch. Ich trage und spiele und beruhige sie. Sie ist zufrieden. Im Haus herrscht weiter Chaos. In meinem Magen ist nur eine schnelle Kleinigkeit nebenher. Mehr war nicht drin. Bald darauf schläft sie wieder ein. Es ist Ruhe, ich habe Pause. Naja, Pause mit Baby auf dem Arm. 

Ein paar Stunden später. Mein Mann kommt heim. Gott sei Dank! Ich möchte ja so viel machen. Ich möchte endlich das Baby nicht mehr auf dem Arm haben. Er ist müde. Geschafft von der Arbeit. Hat Hunger und braucht Pause. Also weiter wie den ganzen Tag schon – Baby bleibt, wo es ist, auf meinem Arm. 

Wieder etwas später. Es ist inzwischen Abend. Mein Mann nimmt das Baby und geht Treppenjoggen. Nur so möchte sie von ihm eingeschläfert werden. Ich schaffe es zu duschen und mich frisch anzuziehen. Baby schläft. Ablegen in ihr Bett. Ruhe. Jetzt haben wir Zeit für uns. Endlich. 10 Minuten später ist sie wieder wach. Also keine Paarzeit. Mal wieder. Ich bleibe bei ihr im Bett, alles andere macht keinen Sinn. 

Wo bin ich nur? Ich existiere nicht mehr. Ich bin nur noch meine Tochter. Es gibt kein Ich mehr. Seit Monaten. Ich habe viel Zeit, aber ich bin nie alleine, ich bin nie für mich, ich bin nie ohne Berührung. Mir ist langweilig. So langweilig. Mein Baby fordert alle meine Aufmerksamkeit, mein Baby ist aber klein und kann noch nicht viel. Mein Kopf wird blöd und blöder. Ich heule vor langweiliger Überforderung. 

Ich brauche dringend Erwachsenenzeit. Ich brauche Zeit mit meinem Mann. Er braucht Zeit mit mir. Wir brauchen Zeit zusammen. Wir müssen wieder Paar sein. Wir müssen endlich wieder mehr als nur existieren.

Ein paar Monate später. Sie hat sich etwas beruhigt. Sie lässt sich abends auch mal für ein paar Stunden ablegen. Mein Mann möchte kuscheln. Er möchte mich wieder zurückhaben. Ich möchte ihm all das geben. Ich kann nicht. Es geht einfach nicht. Wenn sie endlich schläft und ich berührungslos bin, kann ich nicht in die nächste Umarmung gehen. Es geht nicht. Ich muss alleine sein, ohne jeglichen Kontakt. Paarzeit? Keine Chance. Immer noch nicht. Ich kämpfe. Er kämpft. Wir kämpfen. Es erfordert sehr viel Überwindung, aber es ist nötig. Ich möchte meinen Mann zurück. Mit der Zeit wird es besser. Ich kann auch wieder andere Berührungen zulassen. Ich finde langsam, ganz langsam wieder ein bisschen zurück zu mir. 

Vielleicht ein Jahr später. Sie kann laufen. Sie entdeckt die Welt, Stück für Stück. Mit jedem bisschen geht es ihr besser. Mit jeder neuen Errungenschaft ist sie glücklicher, ist sie zufriedener. Und mit ihr bin ich es, sind wir es. Es kann alles wieder gut werden.  

Es ist wieder alles gut geworden. Es hat nur Zeit gebraucht. Viel Zeit und viel Geduld. Viel Warten und sehr viel Arbeit. Aber es ist wieder alles gut geworden!