Typisch Mann – Was bedeutet es ein Mann zu sein

Patrick Oser

Patrick Oser

Wissenschaftler und Vater

Ich bin 34 Jahre alt und ein Mann – aber was bedeutet es eigentlich ein Mann zu sein? Diese Frage beschäftigte mich schon sehr lange und ich habe immer noch keine einfache Antwort auf diese doch so scheinbar einfache Frage gefunden. Ich habe mir stets Vorbilder gesucht, um herauszufinden, welche Eigenschaften und Werte man als Mann vertreten sollte. Ist es Mut oder Stärke? Ein aggressives Auftreten? Heißt es dominant und streng zu sein? Muss ich dafür meine Emotionen unterdrücken und muss immer stark und angepasst sein? Viele dieser Fragen kann ich heute mittlerweile für mich beantworten.

Rollenbild Mann

Früher war ein Mann für mich eine klare Rolle. Der Mann ist der Versorger der Familie – unbeugsam, stark und unnahbar beschäftigt er sich mit den Problemen der Welt. So zumindest habe ich es von meinem Vater gelernt. Immer am Arbeiten, immer beschäftigt auf der Suche nach einer Möglichkeit Geld zu verdienen, denn dieses war knapp, als ich klein war. Also war er selten da, spielte selten bis gar nicht mit mir und meinen Geschwistern – um ehrlich zu sein, erinnere ich mich an keine Gelegenheit, dass er überhaupt mit uns gespielt hat. Viele von diesen Eigenschaften habe ich dann in meinem Leben übernommen. Nach der Schule besuchte ich die Universität – Arbeit bedeutete alles für mich, denn ich wusste: eines Tages muss ich die Familie versorgen, die Stütze sein, die die Familie trägt, während die Frau zuhause die Kinder großzieht.

Gelernte Muster

So kam es dann auch – leider. Nach Abschluss der Universität heiratete ich und strebte gleichzeitig eine Promotion an. Zusätzlich planten wir auch Kinder zu bekommen. Ich freute mich sehr über alle Möglichkeiten, die jetzt in meinem Leben stattfinden konnten. Zwei Wochen vor dem Start der Promotion wurde meine Tochter geboren – es war wunderbar. Für zwei Wochen war sie das Glück meines Lebens. Leider hielt das nicht lange an und ich musste nach schon zwei Wochen Vollzeit an der Universität arbeiten. Dabei verlor ich alles aus den Augen, was eigentlich wichtig sein sollte. Ich übernahm die gelernte Rolle: ich wurde unbeugsam, stoisch und unnahbar. Das Wichtigste war für mich die Arbeit und ich verlor mich in dem Gedanken, dass ich dieser Mensch sein muss: Ich muss Karriere machen, ich muss einen guten Job bekommen, damit ich die Familie ernähren kann. Ich muss immer weitermachen, damit die Menschen sich auf mich verlassen können. Beutetet das ein Mann zu sein?

Für mich bedeutete das eine Familie zurückzulassen und fast den Kontakt zu meiner Tochter zu verlieren. Jeden Morgen bin ich aufgestanden, um möglichst früh in der Arbeit zu sein, um dieser riesigen Belastung und den Erwartungen gerecht zu werden. Jeden Morgen kehrte ich einer weinenden Tochter den Rücken, um Karriere zu machen. Sie stand jeden Morgen am Fenster, weinte und sah mir zu, wie ich mich aufs Rad schwang und in die Arbeit fuhr. Es war schwer zu gehen – natürlich – aber von mir wurde erwartet, dass ich pünktlich bin, dass ich die Arbeit und die Aufgaben in der rechten Zeit schaffe. Auch als ich nach Hause kam, hatte ich selten Zeit, dass ich mich auch nur kurz hinsetze und mit ihr ein paar Klötze stapelte. Der Kopf war voll mit Arbeit und die enttäuschten Augen, dass man mal wieder nicht spielen kann, mussten eben sein.

Neue Situationen

Dann kam Corona und alles wurde anders. Ich konnte nicht mehr in die Arbeit fahren und meiner Tochter den Rücken kehren. Ich musste zuhause sein und mich mit ihr beschäftigen – erst hier wurde mir klar, was ich alles verpasst habe. Jede Stunde, die ich mit ihr verbringen konnte, jeden Stein, den ich mit ihr aufeinandersetzte und jedes Essen, was ich kochen durfte, machte mir klar, was ich verpasst habe. Das wollte ich nie mehr verpassen. Daraufhin versuchte ich die Arbeit zu reduzieren, was nur auf komplettes Unverständnis gestoßen ist. Warum muss ich zuhause sein? Ich hab doch eine Frau, die sich um alles kümmern kann. Jetzt ist die Zeit für Karriere – die Kinder sind immer da und gehen auch nirgendwo hin. Es ist doch wichtig, dass ich jetzt die Zeit sinnvoll investiere, um an meinen Träumen zu arbeiten und das voranzubringen, was wirklich zählt.

Neues Rollenbild für den Mann

Und genau das habe ich getan – aber anders als erwartet: Ich habe an mir selbst gearbeitet, dass ich nicht unbeugsam und hart bin. Ich habe daran gearbeitet, dass ich meine Gefühle und Wünsche auch mit der Welt teilen kann. Ich musste nicht mehr dauerhaft stark sein – ich konnte alles mit meiner Partnerin teilen und mich auf das konzentrieren, was ich wirklich will und nicht das, was die Gesellschaft und mein eigener gelernter Anspruch von mir als Mann erwartet. Als ich merkte, was ich verpasst habe, musste ich weinen – ich weinte sehr lange und hielt meine kleine Tochter im Arm. Ist es denn jetzt in Ordnung, dass ich als Mann auch weinen kann? Ist es in Ordnung, dass ich als Mann auch mal strauchle und Hilfe benötige und diese auch annehmen kann? Es ist in Ordnung! Es ist an der Zeit, dass Männer sich von diesen alten Mustern befreien und ihren neuen Platz in dieser Gesellschaft einnehmen. Die Gesellschaft muss diesen Platz aber noch zulassen. Zu oft noch hört man Sätze wie: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Männer sind Menschen… nicht mehr und nicht weniger.

Was heißt es also ein Mann zu sein? Wir dürfen Gefühle zeigen und über Gefühle sprechen, wir dürfen für Partnerschaft und Familie einstehen, wir dürfen für unsere Kinder da sein wollen, wir müssen nicht die Beschützer sein, wir dürfen für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit einstehen – wir dürfen Mensch sein.